Energiekrise und Teuerung zwingen Wirtschaft und Politik zu Lösungen. Die naheliegende Antwort: Effizienzsteigerung, bessere Technologien, mehr Output.
Doch für manche Unternehmen ist das Gegenteil, nämlich der bewusste Schritt zurück, der beste Weg nach vorn. So auch für einen Bäcker in Rankweil, Vorarlberg.
In meiner Serie „verÄNDERN“ werfe ich einen Blick auf Menschen, Unternehmen und Initiativen, die den Mut haben, neue Wege zu gehen. Ihre Entscheidungen verändern etwas – für sie selbst oder auch für andere. Allen gemeinsam jedoch ist, dass sie nach ihren eigenen Überzeugungen handeln.
Die Grenzen des Wachstums (wie bisher)
50 Jahre ist er alt, der Bericht des Club of Rome mit dem Titel „Die Grenzen des Wachstums“. Die dort modellierten Worst-Case Szenarien sind zum Glück nicht eingetreten. Ein breites Umdenken, technologischer Fortschritt und die Bemühungen zu einem nachhaltigen Wachstum („Green Growth“) machten Hoffnung, diese Grenzen immer weiter verschieben zu können. Es geht dabei ja nicht nur um unseren Wohlstand, sondern für einen großen Teil der Weltbevölkerung schlicht darum, ihre Grundbedürfnisse zu sichern.
Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg stellen die Weltmärkte jedoch erneut vor große Herausforderungen. Energiepreise, Rohstoffknappheit und Inflation rücken die Grenzen des Wachstums wieder näher und stoßen neue Diskussionen an.
Wie geht es weiter?
Während Politik und Wirtschaft nach zukunftsfähigen Antworten suchen, müssen Millionen von Unternehmerinnen und Unternehmern ihre eigenen finden. Keine leichte Aufgabe – denn sie sehen sich zusätzlich konfrontiert mit den Forderungen von Kunden und Mitarbeitern: Nachhaltige Produkte, hohe Qualität, günstige Preise, faire Löhne, Work-Life-Balance. Ein „weiter wie bisher“ kann so nicht funktionieren.
„Tut mir leid, aber das können wir nicht mehr“
Mit diesen Worten richtet sich daher Johannes Breuß im Herbst 2022 an seine Kunden. Und meint das gar nicht negativ – im Gegenteil. Breuß führt eine Bäckerei, die bereits 1936 gegründet wurde und trotz Ausbau und Modernisierung stets Wert auf Qualität und Regionalität legte. Er selbst ist ein ruhiger, besonnener Typ, gut gelaunt und freundlich. So leicht scheint ihn nichts aus der Fassung zu bringen.
Nicht einmal die Krise: Er begreift sie auch als Chance, verändert seine Produktion und das Angebot. Er setzt noch mehr auf Nachhaltigkeit, Qualität und Handarbeit; auf die „Produktion von Brot und Gebäck wie früher zu Großvaters Zeiten.“ Das Sortiment wird um ein Drittel reduziert, die Preise bleiben*. Und die meisten Kunden auch.
Schwierige Zeiten für Bäcker
Gerade für Bäckereien waren die letzten Jahre besonders schwer. Das Gewerbe ist energieintensiv, Einsparungen schwierig. Die hohen Energiekosten und explodierenden Preise für Getreide, Butter & Co. brachten viele Betriebe in Existenznot. Von Branchenkollegen wisse er, dass viele Bäcker in seinem Alter in einer sehr schlechten gesundheitlichen Verfassung sind, berichtet der Rankweiler Bäcker Johannes Breuß.
Die Konkurrenz von Discountern und Supermärkten macht es nicht besser – doch das eigentliche Problem sieht Breuß in der Personalsituation. Denn der Job kostet viel Kraft.
Es braucht Kraft – und Überzeugung.
Viel Kraft gekostet hat Breuß auch der Schritt, die Produktion umzustellen und das Sortiment zu reduzieren. Jeder Ablauf stand auf dem Prüfstand, jedes Brot und Gebäck wurde hinterfragt. Das Ziel: Weniger Kühlung, weniger Maschineneinsatz, 100% Wiederverwertbarkeit, keine Qualitätseinbuße. Auch einige beliebte Produkte mussten dadurch eingestellt werden, wie etwa die Maschinensemmeln. Der Klassiker wird nur noch von Hand gefertigt. All das rief durchaus „sehr unfreundliche Reaktionen“ mancher Kunden hervor.
Breuß lässt sich dadurch aber nicht beirren. Denn die Entscheidung erfolgte nicht nur aus wirtschaftlichen Überlegungen, sondern auch aus Überzeugung. „Natürlich“, sagt er, wäre auch ein anderer Weg möglich gewesen – mehr Automatisierung, mehr Output, mehr Effizienz. Aber: Die übliche Produktion mit der Kühlung von Teiglingen auf -6 Grad sei energietechnisch „eigentlich ein Wahnsinn“ und die automatische Fertigung von Semmeln führe zu hohen Retouren.
Weniger ist mehr: Keine Retouren, hohe Energieeinsparungen
Mit den neuen Abläufen gelang es dem Bäcker, deutlich Energie zu sparen. Während die Energiepreise sich verdreifachten, haben sich seine Energiekosten „nur“ verdoppelt. Am Ende des Tages sind die Regale fast leer gekauft – und das Brot, das noch da ist, kann großteils der Teigverarbeitung wieder zugeführt werden. Der Rest wird als Schnittbrot tiefgefroren verkauft. So hat der Bäckerbetrieb in einem 12.000 Einwohner-Ort, mit 14 Mitarbeitern und einem kleinen Café, nur Abfall im Ausmaß einer haushaltsüblichen Biotonne.
Was hat die Veränderung also letztlich gebracht? Für Breuß ist es stimmig, so zu wirtschaften. Und der Großteil seiner Kunden schätzt die Qualität der Produkte. Ein Beispiel dafür, dass aus Weniger manchmal ein Mehrwert für Unternehmer und Kunden entstehen kann.
Visionen & Megatrends: Was die Zukunft bringt
Was dieses Unternehmen im Kleinen macht, das fordert eine Bewegung im Großen:
Laut der Degrowth-Theorie ist die Rückbesinnung auf das Wesentliche nicht nur für einzelne Unternehmen sinnvoll, sondern für die gesamte Gesellschaft. Die Abkehr vom Wachstum als wirtschaftliches Hauptziel wird dabei nicht als Rückschritt verstanden, vielmehr soll sich die Definition von Wohlstand und gutem Leben ändern.
Parallel dazu sind Nachhaltigkeit und Regionalität anhaltende Trends im Konsumverhalten, gerade bei Lebensmitteln. Immer mehr Konsumenten sind auch bereit zu einem bewussten, gezielten Verzicht und versuchen, ihren Müll zu reduzieren oder gar zu vermeiden (Stichwort: Minimalismus und Zero Waste).
Es scheint jedoch schwierig bis unmöglich, Visionen wie Degrowth und Nachhaltigkeit mit den aktuellen Herausforderungen zu vereinbaren. Und doch zeigen die Entwicklungen der vergangenen Jahre: Ein „weiter wie bisher“ funktioniert nicht. Nicht in der Wirtschaft, nicht in der Gesellschaft. Viele Betriebe stehen mit dem Rücken zur Wand. Und die GenZ zeigt lautstark auf, dass sie nicht bereit ist, in die Fußstapfen der „Boomer“ zu treten und ihre Haltung zu Arbeit und Leistung zu übernehmen.
Dazu kann man stehen, wie man möchte. Veränderungen scheinen aber alternativlos. Es wäre besser, sie aktiv mitzugestalten, als sich dagegen zu sperren.
*Es erfolgte nur eine Inflationsanpassung der Preise
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Alle Links zuletzt abgerufen am 23.6.2023
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